Als Sandra in meine Beratung kommt, wirkt sie erschöpft. "Ich weiß, dass unsere Beziehung am Ende ist", sagt die 42-jährige Projektmanagerin leise. "Aber der Gedanke, danach allein zu sein, macht mir mehr Angst als das Zusammenbleiben." Eine Sorge, die ich in meinen Coachings häufig höre.
Die Angst verstehen
Die Furcht vor dem Alleinsein sitzt tief in uns Menschen. "Wir alle brauchen die Nähe, Fürsorge und Zuwendung anderer Menschen, um überleben zu können", erklärt der Psychotherapeut Erich Fromm. Diese Verbundenheit aufzugeben, fühlt sich bedrohlich an - selbst wenn die aktuelle Beziehung uns nicht mehr gut tut.
Diese Angst hat entwicklungspsychologische Wurzeln: Als Kinder lernen wir früh, dass Alleinsein eine Form der Bestrafung sein kann. Wenn wir nicht so funktionieren, wie es sich die Erwachsenen vorstellen, droht Liebesentzug oder wir werden ins Zimmer geschickt. Diese frühen Erfahrungen prägen unser Verhältnis zum Alleinsein nachhaltig.
Dabei ist die Angst durchaus berechtigt - sie warnt uns davor, nicht mehr dazuzugehören. Das fühlt sich lebensbedrohlich an und schürt Panik, auch wenn wir als Erwachsene rational wissen, dass wir nicht mehr von anderen abhängig sind und uns selbst gut versorgen können.
Der Teufelskreis der Abhängigkeit
Oft steckt hinter der Angst vor dem Alleinsein ein tieferliegendes Thema: mangelnde Selbstliebe. Viele Menschen holen sich in Beziehungen die benötigte Aufmerksamkeit, anstatt sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, beobachte ich in meinen Coachings. Sie saugen die Zuwendung des Partners auf wie ein Schwamm. Doch echter Selbstwert lässt sich nicht von außen aufbauen.
Das Problem: Wer seinen Selbstwert hauptsächlich aus der Partnerschaft bezieht, gerät in eine gefährliche Abhängigkeit. "Ich kann ohne meinen Partner nicht mehr leben" - dieser Gedanke schnürt vielen Menschen buchstäblich die Luft ab. Sie können ihre Entscheidungen nicht mehr unabhängig treffen. Stattdessen richten sie ihr Leben nach den Erwartungen des anderen aus, bis sie sich selbst dabei verlieren.
Eine Klientin beschrieb es einmal so: "Innerlich bin ich lange schon weit entfernt gewesen von meinem Mann. Aber ich funktionierte weiter, machte das Beste draus. Damit mein Mann und die Kinder eine heile Welt hatten und ich meine Absicherung. Aber innerlich war ich am Ersticken." Diese Form der emotionalen Abhängigkeit macht es besonders schwer, sich zu trennen - selbst wenn die Beziehung längst keine Erfüllung mehr bringt.
Der erste Schritt aus diesem Teufelskreis ist die Erkenntnis: Niemand außer uns selbst kann unser Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung dauerhaft stillen. Die Bestätigung von außen mag uns kurzfristig aufblühen lassen, aber wie ein frischer Anstrich auf morschem Holz ist diese Art "Politur" meist nicht von langer Dauer. Echter Selbstwert muss von innen wachsen - ein Prozess, der Zeit braucht, sich aber lohnt.
Übung: Der Selbstreflexions-Check
Stell Dir ehrlich folgende Fragen:
- Was macht mir am Alleinsein konkret Angst?
- Wann habe ich mich zuletzt richtig um mich selbst gekümmert?
- Was würde ich tun, wenn ich nur noch ein Jahr zu leben hätte?
- Worauf könnte ich in einer Beziehung nicht verzichten?
Diese Fragen mögen auf den ersten Blick einfach erscheinen, aber sie haben es in sich. In meinen Coachings erlebe ich immer wieder, wie aufschlussreich die Antworten sein können. "Ich hatte keine Ahnung, wie sehr ich mich selbst vernachlässigt habe, bis ich über diese Fragen nachdachte", berichtete eine Klientin. Der Check hilft dabei, zwischen echter Partnerliebe und emotionaler Abhängigkeit zu unterscheiden.
Nimm dir Zeit für die Antworten und schreibe sie auf. Wichtig ist dabei: Es gibt keine falschen Antworten. Sei ehrlich zu dir selbst. Oft zeigt sich in den spontanen ersten Reaktionen bereits, wo der Schuh drückt. Wenn du beispielsweise bei der Frage nach dem letzten Jahr deines Lebens merkst, dass du ganz andere Vorstellungen hast als dein aktuelles Leben - dann ist das ein wichtiger Hinweis. Ebenso aufschlussreich kann die Erkenntnis sein, dass die Angst vor dem Alleinsein vielleicht gar nicht so sehr die Einsamkeit selbst betrifft, sondern eher die Sorge um finanzielle Sicherheit, die Meinung anderer oder das Gefühl, deinen Partner oder deine Partnerin im Stich zu lassen.
Mache diese Übung am besten mehrmals im Abstand von einigen Tagen (und Wochen). Du wirst sehen, wie sich deine Antworten verändern und vertiefen. Das schafft Klarheit für die nächsten Schritte und hilft dir, dich selbst (wieder) besser kennenzulernen - eine wichtige Voraussetzung für eine selbstbestimmte Entscheidung über deine Beziehung.
Der Weg in die Freiheit
Auch Sandra hat sich schließlich ihrer Angst gestellt. "Ich habe verstanden, dass ich erst lernen muss, mit mir selbst klarzukommen", erzählte sie mir einige Monate nach ihrer Trennung. Sie nahm sich Zeit für sich, baute alte Freundschaften wieder auf und entdeckte neue Hobbys. Sandra hat noch keinen neuen Partner gefunden. "Natürlich vermisse ich manchmal einen Mann in meinem Leben. Aber ich weiß jetzt: Mit geht es auch alleine gut."
Professionelle Unterstützung kann helfen
Der Weg zu einem gesunden Selbstwert braucht manchmal Begleitung. In meinem Buch "
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- gemeinsam finden wir einen Weg aus der Angst in ein selbstbestimmtes Leben.