Fast jede zweite Ehe wird in Europa geschieden. Noch öfter gehen Beziehungen in die Brüche. Doch gibt es ein Geheimnis, wie man sich die Liebe als Paar bewahren kann? Der Systemische Coach Torsten Geiling berät seit 5 Jahren Menschen vor, während und nach ihrer Trennung. Aus diesen vielen Begegnungen, aber auch aus eigenen Erfahrungen, hat der Trennungscoach zwölf Bausteine identifiziert, auf denen sich eine glückliche Beziehung gründen lässt. Lies hier Teil1 und die ersten sechs Tipps.
Von Torsten Geiling
1) Beziehung ist Arbeit
Die perfekte Beziehung gibt es nicht. Was für das eine Paar funktioniert, führt beim anderen unweigerlich zur Trennung. Wir sollten daher keine überhöht romantischen Erwartungen an eine Partnerschaft haben, zumal sich Beziehungen über die Jahre zwangsläufig ändern, weil wir uns als Menschen verändern. Beziehung ist Arbeit. Das muss uns nicht abschrecken, es ist eigentlich ein beruhigender Gedanke. Denn wo Arbeit ist, kann ich auch etwas für das Gelingen tun. Durch Versuch und Irrtum, Nähe und Distanz, Offenheit und Ehrlichkeit. Das ist anstrengend, ja, aber eine Alternative gibt es nicht. Schon Rainer Maria Rilke schrieb an seinen Kumpel Friedrich: „Da habe ich immer und immer wieder erfahren, dass es kaum etwas Schwereres gibt, als sich lieb zu haben. Dass das Arbeit ist, Tagelohn, Friedrich, Tagelohn; weiß Gott, es gibt kein anderes Wort dafür.“
2) Entscheide dich jeden Tag neu
An einer Beziehung kann man wachsen, aber auch scheitern. Viele Menschen hängen dennoch dem romantischen Grundsatz „Bis dass der Tod uns scheidet“ an und ziehen daraus eine vermeintliche Sicherheit. Der Satz stammt jedoch aus Zeiten, als wir selten älter als 40 wurden. Das sollten wir uns öfter in Erinnerung rufen. Sich an der Hand zu nehmen und gemeinsam durchs Leben zu gehen, ist das eine. Am anderen zu kleben oder unterwürfig nachzulaufen, das andere. Ich bin eher dafür, mich jeden Tag neu und bewusst für meinen Partner oder meine Partnerin zu entscheiden, im Wissen, dass Beziehungen vergänglich sind. Das gesamte Leben besteht auch Veränderung. Warum sollte es hier anders sein?
3) Sei du selbst
Einem anderen Menschen gefallen zu wollen, ist nicht verwerflich. Schwierig wird es nur dann, wenn wir dafür eine Rolle spielen und etwas zu sein vorgeben, was wir nicht sind. Wenn wir etwa versuchen, dem Partner alles recht zu machen, damit er uns nicht verlässt, und dabei völlig unsere eigenen Bedürfnisse ignorieren. Wenn wir zwischen Denken und Fühlen trennen oder auch zwischen Fühlen und Handeln. Oder uns einem Lebensmodell anpassen, das nicht unseres ist. Auf Dauer sich selbst zu verleugnen, ist keine gute Idee und geht nicht gut. Also sei die oder der, die oder der du bist. Wir müssen nicht alle unsere Wünsche und Bedürfnisse durchsetzen, wir sollten aber erkennen und akzeptieren, dass sie da sind.
4) Übernimm Verantwortung
Viele Menschen suchen die Ursache für Veränderungen in ihrer Liebe beim Gegenüber – und fühlen sich dadurch ums eigene Glück betrogen. Wer aber den anderen die Schuld gibt, hat schon verloren. Denn damit macht er oder sie sich abhängig von deren Verhalten und ihren Entscheidungen. Du verzichtest auf die Macht, Fehler selbst zu beheben. Erwachsensein heißt, sich Herausforderungen zu stellen, Entscheidungen zu treffen und zu diesen zu stehen. Also übernimm Verantwortung für dich und deine Beziehung.
5) Du kannst dein Gegenüber nicht ändern
Am Anfang einer Beziehung steht stets die Hoffnung, der oder die andere versteht unter Liebe genau dasselbe wie wir: Ich gebe dir alles von mir, zumindest viel. Im Gegenzug erwarten wir das auch vom Gegenüber. Die Erkenntnis ist oftmals ernüchternd, weil der Partner, eine andere Vorstellung davon hat, was er zu geben bereit ist. Wenn wir dennoch glücklich werden wollen, haben wir nur eine Möglichkeit: Wir müssen an unserer eigenen Einstellung arbeiten. Unser Gegenüber können wir nicht ändern, wenn es das nicht möchte. Da hilft auch kein Druck, keine Wut oder das Verbreiten von Angst. Respektiere stattdessen die Bedürfnisse des anderen, etwa nach Zeit für sich selbst. Niemand kann jemand anderen langfristig seinen Willen aufzwingen. Also spar dir die Kraft und die Nerven!
6) Wechsle regelmäßig die Perspektive
Eine Beziehung ist wie ein Tennisspiel: Es bringt wenig, wenn du dich nur auf dich und deine Schläge konzentrierst. Um besser zu werden und erfolgreich zu sein, solltest du ebenso schauen, wo dein Gegenüber steht und wie er oder sie spielt. Erst dann weißt du, ob es klüger ist, ans Netz zu stürmen oder Tempo aus dem Spiel zu nehmen. Auch für eine gute Beziehung braucht es Spielverständnis und Übersicht. Versuche die Sicht deines Partners einzunehmen und frage dich, warum sieht er es anders, welchen Druck verspürt er, und hat sein Standpunkt nicht auch seine Berechtigung. Du kannst auch in die Vogelperspektive wechseln. Aus dem Blickwinkel eines distanzierten Beobachters fällt es oft leichter, Verhaltensmuster bei dir und anderen zu erkennen, und rationalere Entscheidungen zu treffen.
Das sind die ersten sechs von zwölf Bausteinen, auf denen sich eine Beziehung gründen lässt. Dafür muss man nicht am Anfang einer Partnerschaft stehen. Um etwas zu ändern, dafür ist es selten zu spät. Man sollte aber damit beginnen.
Was einem Paar noch dabei hilft, auf dem richtigen Weg zu bleiben oder der Beziehung die richtige Wendung zu geben, liest du im nächsten Blog-Artikel.
Welche mutigen Wege es noch aus unglücklichen Beziehungen gibt, findest du auch in in Torsten Geilings Ratgeber "Ich will mich trennen".