Von Torsten Geiling
Viele Menschen hetzen nach einer Trennung gleich zum nächsten Ziel. Dabei ist es gerade jetzt wichtig, innezuhalten, Kraft zu schöpfen und das Erreichte anzuerkennen. Wie du diese wertvollen Momente für dich nutzen kannst.
Als Maria in mein Coaching kam, war sie völlig erschöpft. "Ich funktioniere nur noch", sagte die 44-jährige Projektleiterin. "Tagsüber arbeite ich wie eine Maschine, abends kümmere ich mich um die Kinder, nachts wälze ich Immobilienportale – weil das Haus ja verkauft werden muss. Dabei fühle ich mich wie betäubt."
Drei Monate waren seit dem entscheidenden Trennungsgespräch mit ihrem Mann vergangen. "Alle sagen, ich mache das so toll", erzählte sie mit tränenerstickter Stimme. "Aber niemand sieht, wie leer ich mich fühle. Und irgendwie schäme ich mich dafür."
Der Druck, "alles richtig zu machen"
Marias Geschichte ist typisch für viele Menschen nach einer Trennung. Ich beobachte in der Trennungsberatung häufig eine Art toxische Produktivität. Die Betroffenen setzen sich enorm unter Druck, alles schnell und perfekt zu regeln – von praktischen Dingen wie Umzug und Finanzen bis hin zur emotionalen Verarbeitung.
Dieser Aktivismus hat oft einen tieferen Grund: Er schützt vor der Konfrontation mit schmerzlichen Gefühlen. Doch genau diese Gefühle brauchen Raum. Das habe ich auch Maria deutlich gemacht.
Eine einfache Übung zum Innehalten
Ich schlage meinen Klientinnen und Klienten oft diese "5-5-5-Übung" vor:
- 5 Minuten: Setze dich bequem hin und atme ruhig
- 5 Dinge aufschreiben, die du in den letzten Wochen geschafft hast
- 5 Minuten: Spüre nach, wie sich diese Erfolge anfühlen
Maria war zunächst skeptisch. "Das fühlt sich an wie Zeitverschwendung", meinte sie. Doch nach einigen Tagen berichtete sie von einer überraschenden Erfahrung: "Zum ersten Mal seit der Trennung konnte ich wieder weinen. Und danach fühlte ich mich irgendwie... lebendiger."
Der Weg zur neuen Balance
Nach weiteren Coaching-Sitzungen fand Maria zu einem gesünderen Rhythmus. Sie führte "Pause-Rituale" ein – kleine Auszeiten nur für sich. "Manchmal setze ich mich einfach 15 Minuten in den Garten und tue nichts", erzählte sie später. "Das hilft mir, wieder bei mir anzukommen."
Die Therapie der kleinen Schritte, das bewusste Innehalten und die Anerkennung des bereits Geleisteten – das sind zentrale Bausteine für einen gesunden Trennungsprozess. Denn manchmal bedeutet Stärke auch, sich eine Pause zu gönnen.
Was Maria – wie viele meiner Klientinnen und Klienten – erst lernen musste: Innehalten ist keine Schwäche, sondern eine Form der Selbstfürsorge. "Ich dachte immer, wenn ich einmal stehen bleibe, breche ich zusammen", erzählte sie mir Monate später. "Aber das Gegenteil war der Fall. Gerade die Momente der Stille haben mir geholfen, wieder zu mir selbst zu finden."
Niemand würde auf die Idee kommen, einen steilen Aufstieg ohne Pausen zu bewältigen
Besonders beeindruckt hat mich ihre Erkenntnis: "In der Ehe habe ich mich oft für andere verausgabt. Jetzt lerne ich zum ersten Mal, wirklich auf meine innere Stimme zu hören. Das ist manchmal erschreckend – aber auch unglaublich befreiend."
Diese Erfahrung deckt sich mit aktuellen Forschungsergebnissen zur Resilienz nach Trennungen: Menschen, die sich bewusst Auszeiten nehmen und ihre Gefühle zulassen, entwickeln langfristig eine größere emotionale Widerstandskraft als jene, die versuchen, durch permanente Aktivität ihre Gefühle zu betäuben.
Es ist wie beim Wandern in den Bergen, erkläre ich oft in meinen Beratungen. Niemand würde auf die Idee kommen, einen steilen Aufstieg ohne Pausen zu bewältigen. Genauso brauchen wir beim emotionalen Aufstieg in ein neues Leben diese Momente des Innehaltens – um zurückzuschauen auf das bereits Geschaffte und Kraft zu sammeln für die nächsten Schritte.
Möchtest du mehr darüber erfahren, wie du den Trennungsprozess achtsam gestalten kannst? Vereinbare gerne auch ein
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Ich will mich trennen" findest du zudem weitere praktische Übungen und Erfahrungsberichte.