Weihnachtskarten und Neujahrwünsche sind nicht meine große Leidenschaft. Ein Klient hat mir einige Tage nach dem Jahreswechsel eine Mail geschrieben, mit besten Wünschen für mich und einigen Vorsätzen für sich, was sich in 2022 alles bei ihm ändern soll. Ich habe ihm darauf geantwortet und es ist ein kleiner Mailverkehr entstanden.
Hallo Leon,
auch ich wünsche Dir alles Gute, vor allem, dass sich alles ordnet und sich dein Leben wieder etwas leichter anfühlt. Ich bin ja eher skeptisch mit guten Vorsätzen ins neue Jahr zu starten. Nicht umsonst gibt es den Spruch: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.
Es bringt uns zwar auf der einen Seite weiter, sich immer wieder Dinge vorzunehmen, die uns herausfordern. Auf der anderen Seite besteht aber die Gefahr, dass wir uns Ziele setzen, die wir zwar für erstrebenswert erachten, deren Erreichung uns aber überfordern. Und so ist es ja oftmals: Die Vorsätze nicht mehr zu rauchen, mehr Sport zu treiben oder die Neuorientierung im Job und im Privatleben endlich anzugehen werden oftmals zur Seifenblase, die so schnell zerplatzt wie sie gekommen ist.
Ich halte Klarheit beim Blick auf die Realität deshalb für zielführender. Ich mache ich die ersten Wochen im neuen Jahr oftmals Inventur: Was ist (noch) da, was fehlt, was kann weg?!
Eine solche Inventur schafft Überblick. Sowas geht nicht mit einem Kopf, der im Sand steckt. Dazu muss man die Perspektive wechseln und sich neu ausrichten, auch wenn man damit viel riskiert. Denn was man sieht, muss einem nicht gefallen. Und es öffnet neue Fragen: Was mach ich nun damit? Kann das wirklich weg oder kommt es auf den Stapel der Dinge, von denen ich mich nicht trennen mag.
Wie die Antwort jeweils ausfällt, muss jeder selbst wissen. Aber gelegentlich tut es gut, sich selber daran zu erinnern, ehrlich mit sich zu sein. Denn wer nicht bereit zum Verlust ist, kann auch nichts gewinnen.
Ich weiß nicht mehr wo, aber ich habe vor einigen Tagen von einer schönen Metapher fürs Leben gelesen: Sieh darin einen langen und kräftigen Fluss, auf dem du fährst. Hin und wieder gelangst du unweigerlich an gefährliche Stromschnellen. Und alles, was du tun kannst, ist Kurs zu halten und so gut wie möglich hindurch zu steuern. Denn die Strömung treibt dich eisern vorwärts. Wenn du dich gegen sie stemmst, kannst du kentern und untergehen. Also bleib ruhig und nimm die Wellen, wie sie kommen, auch wenn du Wasser schluckst. Der Fluss wird dich auch wieder in seichtere Gewässer führen, in denen du Kraft schöpfen und deine Reise genießen kannst.
Herzliche Grüße
Torsten
Leons Antwort
Hallo Torsten, vielen Dank! Das Bild mit dem Fluss hat sowas von Schicksal. Vielleicht ist mein Problem im Augenblick eher, dass ich mich treiben lasse. Vielleicht wäre es besser, vor der nächsten Flussverzweigung am Ufer festzumachen, auf den nächsten Gipfel zu steigen und von oben Orientierung zu erlangen, welche Abzweigung die richtige ist. Das wäre dann ja auch im Sinne der zuerst von dir erwähnten Inventur. Leider sehe ich derzeit keinen Gipfel, der einen Überblick bietet… Ich muss dringend meine Hausaufgaben machen, die du mir gegeben hast, und mir die Frage stellen, was MIR im Leben WIRKLICH wichtig ist. Das fehlt immer noch.
Viele Grüße!
RE: Auch Nichts-Tun bringt dich voran
Hallo Leon,
ja, die Metapher hat etwas von Schicksal. Und gleichzeitig bedeutet die Bootsfahrt ja nicht, dass du nichts tust, wenn du dich auf dem Fluss ein Stück treiben lässt. Es geht ja voran. Ich glaube vielmehr, dass die Aufgabe des NICHTS-TUNS dir dabei hilft, deinen weiteren Weg fortsetzen zu können. Nutze die Zeit. Beschäftige dich mit dir selbst. Begib dich auf die Suche nach deiner Identität. Ein notwendiger Schritt auf dem Weg dazu ist die Bereitschaft, sich gegenüber den Wünschen und Erwartungen anderer Menschen abzugrenzen. Der Philosoph Michael Bordt hat in einem seiner Bücher mal geschrieben: "Wer sich immer danach richtet, was andere von einem wollen und nicht lernt, auf sich selbst zu hören, wird keine eigene Identität ausprägen können."
Erst wenn du weißt, was du willst, wirst du das den anderen deutlich machen können - und die Konsequenzen tragen müssen. Wenn du also das Gefühl hast, es ist an der Zeit, die Richtung oder dein Lebensziel zu verändern, entscheide dich ganz bewusst welche Abzweigung du nimmst. Wählst du den ruhigeren Flussarm, der vor sich hin mäandert oder den Kanal, in dem du schnell vorwärtskommst. Das kann entscheidend sein. Muss es aber nicht. Und welche Abzweigung in welcher Lebensphase die richtige ist, das weiß man ja erst oft hinterher. Falls es ein richtig oder falsch überhaupt gibt.
Wie Steve Jobs mal sagte: You can‘t connect the dots looking foward. You can only connect them looking backwards. So you have to trust that the dots will somehow connect in the future.
Aber etwas Überblick und eine andere Perspektive ist sicher gut und hilft, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Wie etwa bei deiner Hausaufgabe. Zur Erinnerung: Nimm ein leeres Blatt und ziehe in der Mitte einen Strich. Links notierst du die Dinge, die du für dringend hältst, egal ob sie wichtig sind oder nicht. Rechts die Dinge, die du dir wünschst, die du erreichen oder nicht verlieren möchtest, also die Dinge, die dir wirklich wichtig sind. Wenn du die Listen schreibst, denke nicht zu lange nach und frag dich nicht, ob diese Dinge zurecht dort stehen. Schreib sie einfach auf.
Wir alle haben ein Bild von uns, was wir zu sein glauben oder sein wollen, und das blockiert uns zu sehen, wer wir wirklich sind.
Wenn du die Dinge notiert hast, melde dich gerne. Ich bin gespannt. Dann setzen wir die Reise gemeinsam fort.
LG Torsten