Nein, Liebe lässt sich nicht erzwingen. Auch nicht durch verordnete Nähe oder eine Paartherapie. Vielmehr sind die Gefühle sind so etwas wie unser Körperkompass. Wir sollten daher ehrlich zu uns selbst sein.
Von Torsten Geiling
Hannes ist seit 22 Jahren verheiratet. Mit seiner Frau Nele hat er sein halbes Leben geteilt, drei Kinder großgezogen und ein Haus gebaut. „Nele war meine Traumfrau“, erzählt er mir, „sie war meine große Liebe“, dann schluckt er, „diese Liebe zu ihr ist aber weg. Ich habe sie irgendwie verloren.“
Hannes sitzt bei mir, weil er es seit Monaten nicht schafft, sich zu trennen. Mehrere Anläufe hat er unternommen, es ihr zu sagen, und dann den entscheidenden Satz nicht über die Lippen gebracht. Als er es ihr nach einem Streit endlich sagen konnte, „es ist aus, ich trenne mich von dir“, hat Nele das einfach nicht akzeptiert. „Du hast sie wohl nicht alle. Mich nach 22 Jahren sitzen zu lassen, ohne mir eine Chance zu geben, darauf reagieren zu können. Du machst nicht mit mir Schluss. Ich akzeptiere das nicht.“ Thema beendet. Und Hannes ist geblieben.
Er möchte gehen, hat aber ein schlechtes Gewissen
Vorerst, denn eigentlich sieht er in der Beziehung keinen Sinn mehr. Er möchte gehen, hat aber ein schlechtes Gewissen. „Ich liebe sie nicht mehr“, meint er, „aber sie sagt: Liebe ist ein Tuwort. Wir müssen uns nur neu entdecken.“
Ich sage Hannes: Das ist schon grammatikalisch falsch. Liebe ist ein Hauptwort, ein Substantiv. Wenn, dann ist das Wörtchen „lieben“ das Tuwort und das hat nach meinem Verständnis gleich eine andere Bedeutung. Lieben, das kann ich aktiv tun, wenn ich darunter liebkosen, küssen, streicheln, vielleicht auch miteinander schlafen verstehe. Aber die Liebe bezeichnet das Gefühl, das ich beim Lieben oft, aber nicht immer empfinde. Und die Liebe kann ich nicht erzwingen, wie ich auch keine anderen Gefühle erzwingen kann.
Sonst müsste man zu Angstpatienten sagen: „Stell dich nicht so an!“
Sich zu verlieben oder zu lieben, ist keine bewusste Entscheidung. Anfangs ist die Liebe bedingungslos, im Verliebtsein. Da ist man bereit sich ganz auf das Gegenüber einzulassen. Du siehst, hörst, riechst oder schmeckst den anderen, dadurch wird ein Gefühl und eine Reaktion im Gehirn ausgelöst. Aber mit der Zeit stellt jeder Bedingungen – und das ist oftmals der Anfang vom Ende und die Liebe verschwindet durch die Hintertür, weil Gefühle Empfindungen sind, die kommen und gehen. Ohne dass wir sie beeinflussen können, fühlen wir in bestimmten Situationen etwas – oder auch nicht.
Unterschiedliche Hormone und Bereiche im Gehirn steuern unsere Gefühle. Deshalb lassen sie sich auch nicht einfach an- und ausknipsen. Sonst müsste man zu jedem Angstpatienten sagen: „Stell dich nicht so an! Du brauchst keine Angst zu haben!“ So funktioniert das aber nicht. Angstpatienten können beispielsweise in einer Verhaltenstherapie lernen, sich von ihren Gefühlen nicht überwältigen zu lassen. Sie können die Angst aber nicht einfach abstellen.
So ist das auch mit der Liebe. Ich kann – wenn ich das möchte – mich auf eine Art Verhaltenstherapie einlassen. Ich kann versuchen, Nähe zwischen mir und meinem Partner oder meiner Partnerin herzustellen, um durch streicheln, küssen, miteinanderschlafen vielleicht die Liebe wiederzuentdecken. Eine Garantie gibt es aber nicht, schon gar nicht, wenn man es nur tut, weil der andere es möchte.
Wir sind Meister im Erfinden klug klingender Ausreden
Ich rate daher meinen Klientinnen und Klienten mutig zu sein, mutig ihren Gefühlen zuzuhören. Denn Gefühle lügen nicht. Sie sind so etwas wie unser Körperkompass, der uns hilft, Situationen einzuschätzen. Höre in dich hinein: Ist da tatsächlich noch Liebe oder spürst du eher Gewohnheit und die Angst vor der Einsamkeit und dem Neuen.
Sich ehrlich zu machen, ist eine ganz wichtige Stellschraube in diesem Prozess. Wir sind Meister im Erfinden klug klingender Ausreden, wenn hässliche Dinge schönzureden sind. Am häufigsten betrügen wir uns damit selbst, weil wir die innere Stimme ignorieren.
Seid also ehrlich zu euch selbst. Die Liebe ist es auch. Sie kommt und geht, wie es ihr passt. Sie lässt sich nicht festhalten oder wieder zum Leben erwecken. Liebe ist eben kein Tuwort.