Die Bereitschaft, Verantwortung für sich und sein Leben zu übernehmen, ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Diese Erkenntnis ist jedoch in einem Coaching wichtig. Denn erst wenn die Menschen ihre Rolle bei der Entstehung ihrer Krise erkennen, sehen sie auch, dass nur sie die Macht haben, ihre Situation zu ändern.
Von Torsten Geiling
„Können Sie mir nicht sagen, was ich tun soll? Das ist die häufigste Frage, die mir Klientinnen und Klienten stellen. Und natürlich könnte ich das, ihnen sagen, welche Entscheidung ich treffen würde, aus meiner Perspektive, mit meiner Lebenserfahrung, mit meinen Wünschen und meinem Wollen. Aber würde ihnen dieser Ratschlag etwas bringen? Ich denke nicht.
Entscheidungen machen uns Angst
Trotzdem kommt die Frage immer wieder: Was soll ich tun? Entscheidungen machen uns Angst. Sie könnten falsch und endgültig sein. Deshalb drücken sich viele davor und hoffen, andere Menschen in ihrem Leben werden die Entscheidung für sie treffen.
„Schließlich ist mein Mann daran schuld, wo wir gelandet sind“, sagte mir unlängst eine Klientin, „da soll er ruhig die Verantwortung übernehmen.“ Und ein anderer Klient überlegte sich ernsthaft, sich von seiner Frau in flagranti im Ehebett mit seiner Affäre erwischen zu lassen, damit sie ihn verlässt, weil er sich nicht in der Lage dazu sah, die Beziehung selbst zu beenden.
Es ist auch eine Entscheidung, wenn man keine trifft
Ich versuche deshalb bei meinen Klientinnen und Klienten möglichst schnell das Bewusstsein zu wecken, selbst die Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Etwas anderes bleibt sowieso nicht. Denn frei nach dem Kommunikationswissenschaftler und Psychotherapeuten Paul Watzlawick, der den Satz "Man kann nicht nicht kommunizieren" geprägt hat, kann man auch nicht nicht entscheiden. Denn sie treffen auch dann eine Entscheidung, wenn sie keine treffen oder jemand anderen dazu bringen, ihnen die Entscheidung abzunehmen.
Jede Entscheidung hat ihren Preis, weil sie einen Weg aussperrt. Jedes Ja erzeugt ein Nein. Entscheide ich mich für meinen Ehepartner, dann wird ein neues, unabhängiges Leben nicht möglich sein. Und umgekehrt. Deshalb stellt sich immer die Frage: Bin ich damit zufrieden? Sowohl mit der Entscheidung selbst als auch mit der Art und Weise, wie sie getroffen wurde, und natürlich auch mit den Konsequenzen, die sie auslöst.
Auf einer Party erzählte mir unlängst eine Frau bedröppelt, dass auch sie sich nicht von ihrem Mann habe trennen können, obwohl sie seit vier Jahren einen festen Freund hat, der sie will und immer wieder mit ihr über Wochen in der ehelichen Wohnung lebte, wenn der Ehemann auf Geschäftsreise in Asien oder Südamerika war. Als sie ihrem Mann die Affäre in der Hoffnung gebeichtet hat, er würde die Beziehung beenden, hat der völlig anders reagiert: Ihm war nur eines wichtig, dass sie ihn nicht verlässt. Deshalb war er auch zu Zugeständnissen bereit, etwa dass der Freund in seiner Abwesenheit auch weiterhin in der Wohnung wohnen darf.
Entscheidungen können wehtun - uns und anderen
„Dann ist doch alles gut“, sagte ich. „Nein, ich wollte das so nicht“, antwortete sie, „das kann er doch nicht machen. Mein Freund und ich wollten doch neu miteinander beginnen.“ Ich fragte: „Warum trennst du dich dann nicht?“ – „Das kann ich nicht. Jetzt erst recht nicht. Er gesteht mir so viel zu. Oder kennen sie einen anderen Mann, der das machen würden?! Da kann ich doch jetzt nicht einfach sagen: Es ist Schluss.“
Doch, das könnte sie natürlich. Dafür müsste sie aber ihre Verantwortlichkeit für die eigene Lebenssituation akzeptieren und sich mit ihrer Unzufriedenheit und den Konsequenzen ihres Verhaltens auseinandersetzen.
Das Leben bietet uns nahezu unendliche Möglichkeiten an Freiheiten und Wünschen. Wir haben alle Möglichkeiten und jedes Recht, diese auch zu wählen. – wenn wir die Verantwortung übernehmen. Auch dafür, dass wir mit unserer Entscheidung jemand wehtun können, weil dieser eine andere Vorstellung vom Leben hat. Das ist so, aber das ist der Preis, den wir für unseren freien Willen zahlen.
Es muss nicht die Trennung sein
An diesen Punkt versuche ich mit meinen Klientinnen und Klienten möglichst schnell zu kommen. Denn erst wenn sie dazu stehen, dass sie es sind, die über das Ende ihrer Partnerschaft nachdenken, können wir über darüber sprechen, wie es weitergehen soll und welche Folgen das haben kann.
Und ich betone es hier noch einmal: Es muss nicht die Trennung sein. Sie kann es – muss es aber nicht. In jedem Fall möchte ich meine Klientinnen und Klienten unterstützen, stehen zu bleiben, sich zu orientieren und ihrem Leben eine neue Richtung zu geben.
Auf diesem, manchmal steinigen Weg zitiere ich gerne die Worte des Psychotherapeuten Carl Rogers: „Die einzige Person, der nicht geholfen werden kann, ist diejenige, die anderen die Schuld gibt.“