Von Torsten Geiling
Vor ein paar Tagen zog ich eine Mail aus meinem Postfach. Petra hatte mir geschrieben. Ich war auf dem Weg aus ihrer langjährigen Beziehung ein paar Wochen an ihrer Seite.
"Deine Begleitung hat mir sehr geholfen", schrieb sie, "das waren sicher manchmal die entscheidenden Stellschrauben… - Danke dafür!!" Am meisten hätten ihr die Tipps für die Trennungespräche selbst geholfen: Keine Rechtfertigung, keine Vorwürfe, Einräumen (auch) eigener Fehler und die Formulierung einer klaren Entscheidung, die keinen Raum oder eine Hoffnung beim anderen für ein „wir können es nochmals versuchen“ lässt.
"Wer weiß, was da noch kommt?!"
"Sicher meldet sich ab und zu ein schlechtes Gewissen und manchmal fragt man sich, ob man leichtfertig seine Ehe hinschmeisst, aber im Grundsatz fühle ich mich mit mir und der Entscheidung im Reinen und ich könnte es mir gerade auch gar nicht mehr anders vorstellen. Auch wenn ich immer wieder denke: wer weiß, was da noch kommt?!"
Und dann schrieb sie noch: "Irgendwann muss ich mich konkret mit der Scheidung auseinandersetzen, dann melde ich mich sicher noch einmal bei dir. Jetzt brauche ich aber erst einmal eine Pause und werde nichts tun. Und dann in ein paar Wochen möchte ich das Haus umräumen und auch sonst einige Dinge verändern."
Ich habe mich über diese Mail sehr gefreut, vor allem auch über die letzten Zeilen. Ich finde es gut, wenn Klientinnen und Klienten auf ihrem Weg in ein neues Leben auch Pausen einlegen und das anerkennen und genießen können, was sie bisher erreicht haben. Viele können das nämlich nicht oder anders formuliert, erlauben es sich nicht. Dabei ist das ein wichtiger Punkt, um Kraft zu sammeln, für die Anstiege und Täler, die noch kommen werden. Daraus entsteht Resilienz.
Du darfst stehenbleiben und deine Leistung anerkennen
Der Blick in den Rückspiegel kommt automatisch. Und dieser ist auch wichtig. Warum alles so gekommen ist, das hat ja seine Gründe. Wie wir Beziehungen führen oder nicht führen, wie wir streiten, lieben und was für Ängste uns plagen – vieles davon lässt sich auf Erfahrungen zurückführen, die wir in unserer Kindheit gemacht haben. Leider lernen wir es schlechtweg nicht, uns selbst zu verstehen, was dazu führt, dass wir ausgesprochen schlecht darauf vorbereitet sind, mit den Belastungen unseres Lebens umzugehen und uns mit unserem emotionalen Ich zu arrangieren.
Ich antwortete Petra in einer Mail: "Du hast bzw. ihr habt noch einen langen Weg vor euch, bevor ihr eure Verbindung gelöst habt. Du hast aber bereits sehr wichtige Schritte hinter dich gebracht. Da darfst du stehenbleiben, zurückblicken und dir Anerkennung zollen, was du geleistet hast. Ich weiß nicht, ob du das so annehmen kannst. Lass dir aber von mir sagen, der ich ja nun einige Erfahrung mit der eigenen Trennung und mit der von anderen Menschen gesammelt habe, es war schon jetzt eine besondere Leistung, die nicht jeder und jede so hinbekommt. Sicherlich sind die Lebenswege und Partner immer unterschiedlich, trotzdem darfst du das anerkennen."
Und ja, bei Petra und auch bei vielen andere wird noch der eine oder andere Zweifel kommen und sich wahrscheinlich auch immer wieder das Gewissen mit Schuldgefühlen melden. Das ist nach der langen Zeit in den Beziehungen und vor allem bei bestimmten Beziehungsmustern normal. Denn selbst wenn wir uns sagen können, wir lieben den Partner nicht mehr, haben wir doch immer noch fürsorgliche Gefühle für ihn oder fühlen uns sogar noch verantwortlich.
Wo sein Bild hing, ist nun Leere
Die Verbundenheit fühlt sich so an, weil der Partner vor Jahren nicht nicht nur physisch sondern auch psychisch bei uns eingezogen ist. Er ist ein Teil von uns geworden, ein Teil unseres Selbst. Deshalb tut dieser Auszug dann auch weh. Dort wo in uns sein Bild hing, seine Kommode stand, ist nun Leere und vielleicht nur noch ein vergilbter Fleck.
Nach der Trennung trauern wir, weil wir einen wichtigen Teil von unserem Ich verloren haben. Wir haben diesen Schritt getan, bewusst getan, um unser Selbst zu retten. Und dieses Selbst müssen wir wiederentdecken. Wir müssen uns als Individuum wieder finden. Es wird Zeit brauchen, sich neu einzurichten. Diese Zeit sollten wir uns geben.
Wir haben die Macht, unser Leben selbst zu gestalten
Dafür braucht es den Blick in den Rückspiegel, aber auch nach vorne. Ich empfehle meinen Klientinnen und Klienten sich aktiv damit auseinanderzusetzen, etwa indem man sich folgende Fragen stellt:
- Wie konnte es soweit kommen?
- Was hält bzw. hielt mich gefangen?
- Wie kann es weitergehen?
Oder anders:
- Wer bin ich?
- Wohin will ich?
- Und mit wem?
Ich beendete meine Mail an Petra: "Im Grunde ist uns allen oftmals nicht ganz klar, was wir wollen bzw. was der richtige Weg sein könnte. Dann gilt es die Ängste anzunehmen, Mut zu fassen und den Sprung zu wagen. Und natürlich kann der Aufprall auch ( erst einmal) weh tun. Wenn ich aber überzeugt davon bin, das richtige zu tun, dann gibt es keine Alternative dazu - und auch keinen Grund, sich selbst zu verleugnen, um jemand anderes zu sein. Zumal wir in großen Teilen die Macht haben, unser Leben selbst zu gestalten. Das tust du gerade. Ganz aktiv. Das finde ich toll."